Duftlösungen: Vom Signaturduft bis zum Reinigungsmittel

26. Juli 2021

Andreas Wilhelm ist mit uns in die faszinierende Welt des Duftes abgetaucht. Der renommierte Parfümeur kreiert massgeschneiderte Duftlösungen für verschiedenste Unternehmen und Ansprüche.

Mehrere hundert Duftkomponenten in ebenso vielen Fläschchen, Kühlschränke mit ätherischen Ölen, Pipetten, Bechergläser, Präzisionswaagen, diverse Rezepturen – und ein Flipperkasten, schliesslich muss Andreas Wilhelm zwischendurch den Kopf lüften, wenn er Düfte kreiert. Der Parfümeur betreibt seit 2008 sein eigenes Studio in Zürich und entwickelt Duftlösungen für verschiedenste Unternehmen und Anwendungen. Zu seinen Kundinnen und Kunden zählen die renommierte Hotelkette Sofitel und die Luxussparte von Hyundai – für beide entwarf er einen Signaturduft. Ebenso setzt er seine Nase für Kunstprojekte ein, jüngst sorgte er mit seinem Geld-Parfüm im Auftrag der Künstlerin Katharina Hohmann für Schlagzeilen. Natürlich kreiert er auch Parfüms im klassischen Sinne. «Wir machen eigentlich alles, was in irgendeiner Form mit Duft zu tun hat», fasst der 44-Jährige seine Unternehmung in einem Satz zusammen. 

Andreas Wilhelm hat Dobas in die Welt der Düfte mitgenommen und während eines Gesprächs in seinem Zürcher Atelier erzählt, wie er arbeitet, welche Chancen und Risiken Signaturdüfte mit sich bringen und wie Duftlösungen für Räume implementiert werden können. 

 

Herr Wilhelm, wie wurden Sie zum Parfümeur?
Andreas Wilhelm (AW): In den 90er-Jahren absolvierte ich eine Lehre bei Givaudan als Chemielaborant in der Parfümeriegrundstoffforschung. Der Brand ist bis heute Nummer eins im Duft- und Geschmackstoffe-Bereich. Nach der Ausbildung konnte ich bei der Unternehmung bleiben und in die Produktion reinschnuppern. In manchen Wochen extrahierte ich dort 700 Kilogramm Vanilleschoten! Spätestens da war es um mich geschehen und ich wusste, dass es das ist, was ich beruflich machen will. Nach einem Zwischenstopp bei Emil Flachsmann (heute Frutarom Switzerland Ltd., Anm. d. Red.), einer Extraktefirma, bewarb ich mich um einen Ausbildungsplatz bei der traditionsreichen Luzi AG und wurde schliesslich zum Parfümeur. Obwohl ich immer sage, ich sei auch Geschichtenerzähler. Einen Duft kauft man ja nicht bloss, weil er gut riecht. Man kauft ihn vorwiegend wegen seiner Geschichte, weil er etwas Rares ist, etwas Exklusives. 

Seit 2008 sind Sie selbständigiger Parfümeur. Was bietet Wilhelm Perfume alles an?
AW: Ich kreiere Düfte und implementiere diese dann in die Produktion. Unsere Spezialität ist es, Parfümkonzentrate nach Kundenwunsch herzustellen. Dieses Konzentrat ist der Ausgangspunkt. Es kann zum Beispiel für eine Duftkerze, in einem Diffusor oder für ein Parfüm verwendet werden. Oder als Signaturduft, um den Brand stärker im Kopf eines Kunden zu verankern.

Wie läuft ein Kreationsprozess für ein solches Parfümkonzentrat ab?
AW: In der Regel fangen wir damit an, die Brand-DNA und die Corporate Identity unseres Auftraggebers zu durchleuchten. Wir machen mit unseren Kunden ein Brainstorming und definieren während eines gemeinsamen Workshops, welche Gefühle und Assoziationen ein Duft auslösen soll. Soll es natürlich riechen? Mondän? Technisch? Kühl? Grün? Das Briefing zu erstellen, braucht jeweils ein Momentchen, aber es ist die Grundlage für einen effizienten Entwicklungsprozess. Die Ausgangslage ist natürlich eine andere, wenn eine Kundin oder ein Kunde eine bestehende Benchmark im Kopf hat. Dass also ein Auftraggeber mich zum Beispiel bittet, einen Duft für eine Duftkerze herzustellen, die ähnlich riecht wie eine, die bereits auf dem Markt ist. Oder wenn ein Auftraggeber ein Parfüm für einen Zielmarkt X kreieren möchte, das sich mindestens 100'000 mal verkauft. Es kommt auch vor, dass ein Kunde mich an einen Ort bittet und sagt: «In meinem Shop soll es genau riechen wie hier!»

Spielt es für den Entwicklungsprozess keine Rolle, ob das erwähnte Parfümkonzentrat für eine Duftkerze oder einen Signaturduft verwendet wird?
AW: Der Kreationsprozess an sich ist identisch, aber die Applikation bestimmt darüber, welche Rohstoffe für eine Rezeptur verwendet werden können. Ich kann nichts einsetzen, das nicht performt. Eine Duftkerze, die nach Zitrone riechen soll, baue ich anders auf als einen zitronigen Raumduft. Je nach Applikation verändert sich die technische Grundmasse, denn sie muss andere Anforderungen erfüllen. Entsprechend wichtig ist es, vorher zu klären, in welche Produkte das Parfümkonzentrat fliessen soll. 

Kommen wir also zur Rezeptur. Wie entsteht sie genau?
AW: Basierend auf den Erkenntnissen hinsichtlich Kundenbedürfnisse kreiere ich den Duft – zunächst am Computer. Für die Zusammenstellung der einzelnen Bestandteile nutze ich die Datenbank eines Drittunternehmens, die mir auch die Konzentrate nach dem «Go» des Kunden herstellt. In dieser Datenbank habe ich 2000 Rohstoffe zur Auswahl, mit denen ich meine Idee in Rezepturen übersetze. Anschliessend mische ich in der Regel zehn Gramm nach dieser Rezeptur und schaue, ob sie riecht, wie ich mir das vorgestellt hatte. Manchmal stelle ich auch 50 oder 100 Gramm her und mache mit der Grundmasse weitere Versuche. Dann mische ich zum Beispiel etwas Veilchen oder Iris-Wurzeln rein und schaue, wie sich der Duft verändert.

Gibt es sowas wie ein Minimum oder Maximum an Komponenten?
AW: Das kann variieren. Es muss ja auch immer noch für die Produktion umsetzbar sein. Meine Rezepte beinhalten in der Regel 25 bis 100 Komponenten. Der langjährige Hausparfümeur von Hermès, Jean-Claude Ellena, sagte mal, dass die Rezepte kürzer werden, je älter man wird. Das kann ich bei mir ebenfalls beobachten. Man hat schon an so vielem gerochen, schon so vieles hergestellt… und kann entsprechend auf einen grossen Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Sie arbeiten international. Inwiefern spielt der kulturelle Kontext bei der Wahl der Duftkomponenten eine Rolle?
AW: Es gibt lokale Präferenzen, die erlernt sind. Im Mittleren Osten zum Beispiel sind bestimmte Qualitäten von Oudh beliebt, die hierzulande nicht gerne gerochen werden. Oudh wird vom Adlerbaum gewonnen. Dafür muss erst eine bestimmte Schimmelart den Baum befallen, damit er ein aromatisches Harz bildet, woraus wiederum das ätherische Öl extrahiert wird. Das treibt den Preis natürlich in die Höhe, er liegt höher als der Goldpreis und kann bis zu 40’000 Franken pro Kilogramm betragen. Ähnlich aufwändig ist übrigens die Extraktion der Iris-Wurzel. Sie muss zwei Jahre in einer Steinhütte lagern, damit sich ein bestimmtes Molekül enzymatisch schliesst, und der Destillierungsprozess gestartet werden kann. Hier liegen wir etwa bei 60'000 Franken pro Kilo.

Wie sieht es denn auf körperlicher Ebene aus? Gibt es Düfte, die sich auf eine bestimmte Art und Weise auf den Körper auswirken?
AW: Ja, das ist die sogenannte Bodyreaction – also die körperliche Reaktion auf einen Duft. Sie existiert nebst der kognitiv erlernten Bewertung eines Dufts, die subjektiv ist. Diese Wissenschaft ist noch relativ jung und es gibt entsprechend noch nicht allzu viele Daten dazu. Wir setzen uns aber bereits intensiv damit auseinander und sind punktuell auch im Austausch mit Forschenden wie etwa Hanns Hatt, dem Inhaber des Lehrstuhls für Zellphysiologie der Ruhr-Universität Bochum.

Düfte können auch Erinnerungen aus dem Unterbewusstsein holen, gute wie negative. Ist das beim Kreieren von Duftlösungen nicht risikobehaftet, gerade im Bereich Signaturduft?
AW: Das Positive an einem Signaturduft ist, dass ein Brand dadurch stärker in Erinnerung bleibt. Denn wir speichern mit Düften, egal ob bewusst wahrgenommen oder nicht, Erlebnisse besser ab. Natürlich ist das gleichzeitig ein Risiko. Dass eine Kundin oder ein Kunde mit einem Signaturduft des Dienstleisters im Falle eines negativen Ereignisses immer eine schlechte Erinnerung verbindet. Hier kommen wir aber wieder zurück zur Bodyreaction… In einem Signaturduft können Komponenten berücksichtigt werden, wie etwa der natürliche Duftstoff Linalool, die beruhigend wirken. Sodass im Falle eines unschönen Ereignisses die Grundeinstellung der Kundin oder des Kunden dank des Duftes bereits entspannter ist und das Ereignis dadurch tendenziell weniger negativ bewertet wird.

Gibt es Unternehmen oder Branchen, für die sich ein Signaturduft anbietet und solche, denen Sie davon abraten würden?
AW: Nein, meines Erachtens eignen sich Signaturdüfte für jede Unternehmung. Ich persönlich finde es einfach wichtig, dass der Duft einzigartig ist und nicht ab Stange kommt. Es gibt wie erwähnt 2000 Rohstoffe zur Auswahl, die Kombinationsmöglichkeiten sind endlos…. Es lässt sich für jeden Fall etwas Individuelles, Eigenes kreieren.

Wie gehen Sie bei der Entwicklung eines Signaturduftes vor, der für die Beduftung von Räumlichkeiten eingesetzt wird?
AW: Grundsätzlich wie bereits erklärt. Was hier noch hinzukommt, ist die Auseinandersetzung mit der Kubatur des Raumes. Die Situation sollte vor Ort evaluiert werden, um zu sehen, wo die Lüftung durchläuft, welche Gerätschaften zur Verteilung allenfalls in Frage kommen, welche Menge Duft benötigt wird und so weiter. Die Präsentation des Duftes erfolgt denn auch mit den Geräten, die für die Beduftung vorgesehen sind. Es ist aber normal, dass nach der Implementierung etwas nachreguliert werden muss. 

Wie werden Signaturdüfte denn am besten im Raum verteilt?
AW: Das ist ganz unterschiedlich und manchmal auch abhängig von den lokalen Gesetzen. In der Schweiz zum Beispiel darf ein Lüftungssystem nur Luft und Wärme von aussen nach innen führen. In einem solchen Fall lässt sich aber eine Installation hinter dem Lüftungsausgang anbringen. Ein Duft kann auch über Reinigungsmittel, etwa das Bodenputzmittel, im Raum verteilt werden, wir arbeiten auch mit Reinigungsmittelherstellern zusammen. Oder über Beduftungsgeräte, die elegant im Raum verteilt werden. Oder über Flüssigseife, mit der sich die Mitarbeitenden die Hände waschen… Es gibt keinen Gold-Standard, wir machen die Wahl abhängig vom Raum und natürlich auch von den Kundenwünschen. Manche wünschen die Beduftung plakativer, manche subtiler.

Wie halten Sie Ihre Nase fit? Braucht es besondere Massnahmen?
AW: Nein, ich muss nicht speziell gut schauen. Die Zellen in der Nase erneuern sich alle zwei bis drei Wochen. Zudem ist meine Nase ja eigentlich «nur» die Qualitätskontrolle für meine Kreationen. Meine Arbeit basiert hauptsächlich auf meiner Vorstellungskraft… Ich kann mir extrem gut vorstellen, wie Komponenten A und B in Kombination mit C riechen werden und welche Verhältnisse zielführend sind. Und mir fallen bei einem Schlagwort wie etwa «Transparenz» sofort zig Komponenten ein, die sich für die Übersetzung in einen Duft eignen.

Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft. Woran arbeiten Sie gerade, wo riechen wir die Kreationen von Wilhelm Perfume demnächst?
AW: Im Herbst eröffnet in Dubai das «Museum of the Future», dafür durften wir drei Düfte entwickeln. Einer davon soll riechen wie die Erde, wenn die Menschen nach 2000 Jahren wieder auf den Planeten zurückkehren. Er heisst «Scent Zero» und riecht nach frischer Luft, aber auch kühl und grün. Und er beinhaltet auch Linalool, das wie schon erwähnt den Puls runterbringen soll.


Bilder: © niro.graphy, Ardit de Niroo

Präsenz an der Zürcher Bahnhofstrasse

Für Genesis Motors entwickelte Andreas Wilhelm einen Signaturduft, der unter anderem im Flagship-Store an der Zürcher Bahnhofstrasse implementiert wurde. Auch Dobas hat schon an der bekannten Einkaufsstrasse gewirkt. Mehr erfahren

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