Interview: Ein Blick in die Zukunft der Messe

28. April 2022

Corona hat die Messebranche auf den Kopf gestellt. Das ist nicht nur negativ, finden Janina Poesch und Sabine Marinescu, die Herausgeberinnen des «Messedesign Jahrbuchs». Ein Gespräch übers Umdenken und Überdauern.

Was publiziert man als Herausgeberinnen des «Messedesign Jahrbuchs», wenn eine Pandemie zu Messe-Absagen à gogo führt? Janina Poesch und Sabine Marinescu münzten die schwierigen Umstände in eine Spezial-Ausgabe um, welche die Varietät des Messeformats aufgriff, etwa 50 Projekte vorstellte und einen Blick in die Zukunft wagte. Die studierten Architektinnen und gelernten Journalistinnen verantworten die Publikation seit zehn Jahren, darüber hinaus wirken sie unter anderem als Herausgeberinnen des Szenografie-Fachmagazins «PLOT – Inszenierungen im Raum».

In einem Zoom-Interview haben wir mit den Messe-Expertinnen über Nachhaltigkeit, Kollaboration und die Zukunftsfähigkeit der physischen Messe gesprochen.

 

Kurzfristige Planänderungen gehörten in den vergangenen zwei Jahren zur Tagesordnung, 4000 Messen wurden weltweit aufgrund von Corona abgesagt. Inwiefern wird diese Erfahrung die Konzipierung künftiger Messestände beeinflussen?
Sabine Marinescu (SM): Ich muss gestehen, sicher bin ich nicht! (lacht) Wir leben im Zeitalter der Krisen und alle Beteiligten müssen sich darüber Gedanken machen, wie sich Messe flexibler handhaben lässt. Für mich stellt sich beispielsweise die Frage, ob wir hybrid künftig nicht sowieso immer mitdenken. Klar, die Art der Planung, auf der Messe basiert, lässt sich nicht einfach ad hoc ändern. Planer*innen brauchen immer einen gewissen Vorlauf, aber im Kopf sollten alle offen und flexibel genug sein, um allenfalls kurzfristige Lösungen aufgrund veränderter Umstände zu finden.
Janina Poesch (JP): Wir sollten generell modularer denken und uns bewusst sein, dass jederzeit alle Möglichkeiten eintreffen können. Wir sollten an skalierbaren Lösungen arbeiten, die für verschiedene Gegebenheiten funktionieren. Dieser Anspruch an Flexibilität wird auch die Gestaltung beeinflussen. Wenn zudem Aspekte der Nachhaltigkeit mitberücksichtigt werden, dann liegt Modularität erst recht auf der Hand. Nachhaltigkeit wird, gerade im Messebau, künftig eine unglaublich grosse Rolle spielen.

Ist im Bereich der Nachhaltigkeit eine Veränderung im Hinblick auf jüngere Generationen vielleicht sogar zwingend, damit die Messe eine Zukunft hat?
SM: Klar, ja!
JP: Die Frage, ob man eine Nachhaltigkeitsstrategie fahren will, steht gar nicht mehr im Raum. Als Unternehmen muss man sich positionieren: Eine Nicht-Positionierung ist ebenfalls eine Aussage und wird von der Zielgruppe bewertet. Ich glaube nicht, dass es sich jemand noch leisten kann, nicht darüber nachzudenken. Es stellt sich eher die Frage, in welcher Form man das für sich gestaltet: Setzt man auf Zertifizierungen? Auf die Verwendung nachhaltiger Materialien? Auf Modularität?
SM: Das wird ja derzeit auch wichtig fürs Recruiting. Oft fehlt der Nachwuchs, der sehr stark auf Themen wie Nachhaltigkeit achtet. Es geht nicht nur darum, wie du als Firma nach aussen insgesamt wirkst. Ich glaube, dass Unternehmen tatsächlich Schwierigkeiten bekommen, junge Fachkräfte zu finden, wenn sie sich – wie Janina sagte – nicht positionieren und eine Haltung einnehmen.

Denken Sie, dass sich Messen künftig inhaltlich neu ausrichten? Oder wird es weiterhin Fach- und Publikumsmessen geben, wie wir sie kennen?
JP: Ich glaube, dass sowohl Publikumsmessen als auch Fachmessen weiterhin Bestand haben werden. Ich kann mir aber vorstellen, dass sich Industriezweige zusammenschliessen und ein gesellschaftlich relevantes Oberthema aufgreifen – gerade im Publikumsbereich. Das lässt sich ja teilweise jetzt schon beobachten, wenn unter einem Sujet wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder Design branchen- beziehungsweise disziplinübergreifend Ausstellende und Publikum angesprochen werden.
SM: Ich denke auch, dass es Industrien geben wird – gerade im digitalen Bereich –, die sich an bestehende Messen docken und keine eigene Veranstaltung mehr haben.
JP: Meine Annahme ist, dass Messen kleiner und spezieller werden. Dass es diese wirklich grossen Messen vielleicht gar nicht mehr in der altbekannten Form geben wird, sondern eher kleinere dazukommen und davon eben mehrere.

Haben Messegelände als Ort des Geschehens also langfristig ausgedient?
SM: Ich sehe da tatsächlich Probleme auf die Messegelände-Betreiber*innen zukommen. Nehmen wir das Beispiel Messe Frankfurt – jetzt, wo die Internationale Automobil-Ausstellung IAA dort nicht mehr stattfindet. Da stehen auf einmal riesige Hallen leer. Ich nehme an, dass sich viele Messen andere Räume suchen müssen und sich das Geschehen verlagern wird. Wie Janina vorhin sagte, eine Messe beschäftigt sich vielleicht mit einem Thema X, das einen anderen Ort als die Messehalle braucht, um stattfinden und den Inhalt darstellen zu können. So wie sich die Messe andere Räume sucht, suchen sich die Messehallen wohl auch neue Nutzungsmöglichkeiten. Es wird aber sicherlich weiterhin Veranstaltungen in Messehallen geben.
JP: Gerade die Inhaber*innen von grossen Geländen werden sich in geraumer Zeit überlegen müssen, was sie mit ihren Hallen machen. Es ist schon verrückt, was in den letzten zwei Jahren möglich war und noch immer ist: Auf einmal wird ein Messegelände zu einem Impfzentrum oder zu einer Unterkunft für Menschen auf der Flucht. Nicht nur, weil gerade keine Messen stattfinden, sondern weil sich Messe an sich eben auch verändert und sich neue Räume sucht.

Wie könnten alternative Messeorte aussehen? Wird die Messe in die Innenstadt ziehen? Dort gibt es viel Leerstand …
JP: Es ist ein grosser Trend, Messe im Stadtgebiet stattfinden zu lassen. Das ist ja eigentlich gar nichts Neues und lässt sich beispielsweise bei den Designmessen, insbesondere in Mailand am Salone del Mobile, beobachten. Hier merkt man, dass ein urbanes Gefühl mitvermittelt wird und natürlich auch ein breiteres Publikum erreicht werden kann. Inmitten der Stadt entsteht auf einmal ein Festivalcharakter, selbst wenn man vorher auf dem Messegelände war und später weitere Programmteile im Stadtgebiet erlebt, ergibt sich eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl, da man sich diesen besonderen (Messe- und Fest-)Moment teilt. Das hat enormen Wert und erzeugt enorme Kraft. Wobei diese Verlagerung auch etwas mit den Innenstädten macht, die davon ebenfalls profitieren. Natürlich aber nur, wenn das gesamte Event gut gemacht ist und der Messestand aus der Halle nicht eins zu eins in den Stadtraum übertragen wird – bei der Gestaltung ist es wichtig, unbedingt auf den Kontext und den Ort einzugehen.

Sich verändernde Umgebungen verlangen vermutlich auch nach neuen Skills. Welche Kompetenzen sind für die Konzipierung künftiger Messestände notwendig?
JP: Unabhängig von irgendwelchen Disziplinen: Es braucht Menschen, die ein Raum- und Kommunikationsverständnis mitbringen. Raum gibt es im Digitalen genauso wie im Physischen und Kommunikation findet ebenfalls in beiden Welten statt. Und dann braucht es natürlich diejenigen, die das miteinander zu verknüpfen wissen. Es wird auf jeden Fall darauf hinauslaufen, dass es noch mehr Menschen geben sollte, die verstehen, wie digitaler Raum wertvoll inszeniert und so gestaltet werden kann, dass er der Kommunikation dient, einen Mehrwert liefert und nicht nur technische Dinge ermöglicht. Da stehen wir noch ganz am Anfang.
SM: Es müssen vielleicht auch einige über ihren Schatten springen und nicht immer alle Experten unter dem eigenen Dach haben wollen. Vielleicht sollten Projekt-Beteiligte verstärkt darüber nachdenken, wie man in Netzwerken beziehungsweise partnerschaftlich miteinander arbeitet. Digitale Spielwiesen sind wohl selten eine Kernkompetenz des klassischen Gestaltungsbüros, wie wir es kennen. Du kannst ja auch gar nicht immer einen Experten für alles haben, gerade im Digitalen.

Welche Messe-Projekte, mit denen Sie sich im Rahmen des aktuellen «Messedesign Jahrbuchs» beschäftigten, haben Sie persönlich am meisten beeindruckt und warum?
JP: Mir haben besonders die Roadshows gut gefallen: In meinen Augen ist dieses Format, das die letzten Jahre etwas ins Hintertreffen geraten ist, die perfekte Antwort auf die Pandemie-Zeit: Kommt der Kunde nicht zur Marke, bewegt sich die Marke eben zum Kunden. Es ist ein spannendes Werkzeug, um mit seiner Zielgruppe Kontakt zu halten und Kommunikation auf einem kleinen Raum zu verdichten. Ich hoffe, dass dieses Format weiterhin relevant bleiben wird.
SM: Ich fand tatsächlich auch die Roadshows ganz interessant. Ebenfalls gefallen hat mir das Projekt der Ippolito Fleitz Group für OBJECT CARPET, das ursprünglich als Inszenierung für den Salone del Mobile.Milano 2020 geplant war. Aufgrund der Absage wurde daraus ein sehr künstlerischer Film. Das mag nicht immer funktionieren, weil das natürlich superspeziell ist und das Produkt nicht mehr im Vordergrund steht, aber ich finde es einen sehr gelungenen Ansatz, in ein anderes Format zu wechseln und etwas völlig Eigenständiges zu entwickeln.

JP: Der Showroom von DIIIP für die Marke Getalit der Westag AG hat mich ebenfalls sehr angesprochen (siehe Slider unten, Anm. d. Red.): Das Unternehmen hat aufgrund von abgesagten Messen am eigenen Standort eine Hausmesse veranstaltet. Aber nicht in der Art «Ich mach’ mal kurz die Türen des bestehenden Standorts auf und fertig», sondern sehr professionell und hochwertig gestaltet. Mit diesem Ansatz entsteht gleichzeitig ein neuer, weiterer Ort für Messe. Und das fand ich ebenfalls unheimlich spannend. Eigentlich ist so ein Format doch perfekt: Ausstellende haben kaum Streuverlust und die «richtigen» Leute vor Ort. Vermutlich fehlen zwar die hohen Kennzahlen, aber wenn die geknüpften Kontakte dann zu echten Geschäftsabschlüssen oder neuen Entwicklungen führen, hat man ja eigentlich alles richtig gemacht ...

Was ist Ihrer Meinung nach zwingend notwendig und welche Kriterien müssen erfüllt sein, dass physische Messen Bestand haben können?
SM: Das Wichtigste, und das mag sich sehr banal anhören: Es muss ein Ort der Begegnung und des Austausches geschaffen werden. Messe muss ein Ort sein, an dem man wieder miteinander ins Gespräch kommt, ganz ungezwungen und inspiriert. Nicht so fokussiert und nach einer fixen Agenda, wie es online ja oft der Fall ist.
JP: Ich denke, dass künftig wertige Unterhaltungen und gar nicht die Produkte selbst im Vordergrund stehen werden. Exponate lassen sich das ganze Jahr online präsentieren und über sie diskutieren beziehungsweise sie erklären. Aber ich glaube, auf der physischen Messe geht es um Gespräche über Werte und Haltungen eines Unternehmens. Und da müssen sich Unternehmer*in natürlich vorab fragen: «Was kommuniziere ich eigentlich?!» Das wird bei vielen Austeller*innen wahrscheinlich zu ungewohnten Denkprozessen führen. Denn bislang standen verstärkt die Produkte im Mittelpunkt der Kommunikation, weniger Positionen und Visionen. Es wird in Zukunft aber immer wichtiger, diese einzunehmen und nach aussen zu transportieren, um mit seiner Zielgruppe im Gespräch zu bleiben. Physische Messe wird immer mehr zu einem von vielen möglichen Markenerlebnis-Touchpoints und es ist wichtig diesen Berührungspunkt so zu nutzen, dass die Vorteile des analogen (Kommunikations-)Raums vollkommen ausgeschöpft werden. Und abgesehen davon: Es braucht auf jeden Fall gutes WLAN.
SM: (lacht)
JP: Wirklich! Schliesslich müssen wir alle schnell in den digitalen Raum kommen – banal, aber wichtig! Um das persönliche Gespräch zu unterfüttern und den Kontakt nachbearbeiten zu können, musst du sofort Zugang zu einem stabilen Internet haben. Auch wenn tausende andere Messe-Besucher*innen das WLAN ebenfalls beanspruchen.
SM: Dieser Wandel ist wohl auch für die Gestalter*innen herausfordernd. Ich nehme an, sie werden auch die Funktion übernehmen müssen, dem einen oder anderen Ausstellenden klarzumachen, dass das Produkt nicht mehr im Zentrum steht und ihn auf diese Reise mitzunehmen.

War das Durchschütteln der Messewelt notwendig, damit die physische Begegnung wieder an Werthaftigkeit gewinnen und das Live-Format wieder zum Premiumprodukt werden kann? Und der «Return on Investment» von Messen in einem positiven Sinne radikal hinterfragt wird?
JP: Definitiv! Eigentlich kam die Pandemie, ohne das zu werten, genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich finde, schon vor Corona war zu spüren, dass es brodelt: Das Format Messe stand immer wieder zur Diskussion und wurde auch mehrmals totgesagt. Doch aufgrund der Pandemie wurde deutlich, dass es die Messe für die Markenkommunikation braucht. Natürlich: Corona hat grosse Spuren in der Messebranche hinterlassen und es ist bedrückend, wie dies die Arbeit und das Leben von vielen Messebauern und Agenturen beeinflusst hat. Gleichzeitig bin ich froh um diesen Umbruch, da ich nach langem Beobachten und Zweifeln nun die Überzeugung gewonnen habe: Die Messe wird nicht sterben, sie wird nur anders aussehen. Messe ist unkaputtbar! Ich glaube, das hat diese Zeit mehr als gezeigt.
SM: Stimmt absolut! Davor war vieles aufgeblasen. Einiges ist nun weggebrochen. Das ist ja immer auch eine Konsequenz von Krisenzeiten: Dass das wegfällt, was nicht dringend gebraucht wird. Und es hat, glaube ich, einiges nicht gebraucht – und wir werden jetzt besser wissen, was es ist. Gerade in der Branche. Hoffentlich! (lacht) Reden wir in zwei Jahren nochmal darüber.
JP: Das wollte ich auch gerade vorschlagen: Nehmen wir das Gespräch nochmal in zwei, drei Jahren auf und schauen, wie sich die Dinge entwickelt haben.

Gerne! Wir freuen uns schon auf den Austausch und empfehlen bis dahin die Lektüre der bisherigen (und nächsten) «Messedesign Jahrbücher», die sich übrigens beim Verlag av edition bestellen lassen.

 

(Bild Blog-Übersicht: Janina Poesch, Sabine Marinescu © Quimey Servetti, Header-Bild Beitrag: Getalit-Showroom, gestaltet von DIIIP Projekt GmbH © Thorsten Arendt Fotografie)

In Szene gesetzt

Sie planen einen Messeauftritt und wünschen sich einen Stand, der das Zeug zum echten Hingucker hat? Wir unterstützen Sie gerne bei Ihrem Vorhaben. Bei Interesse freut sich Interior Designer und Szenograf Johannes Lang auf Ihre Kontaktaufnahme.

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